Zusammenfassend möchte ich feststellen: Auch wenn der Mensch ein geselliges Wesen ist, bedeutet das nicht, dass er
ständig in "körperlicher Nähe" zu anderen sein muss. Der Mensch muss nicht andauernd mit anderen reden und diskutieren.
Um zu sich zu kommen, müssen wir uns wenigstens zeitweise in die Einsamkeit begeben. Eine Reihe geistiger Werte
erlangen wir nur in Ruhe und Einsamkeit. Wenn wir einen nahe stehenden Menschen besonders bewusst wahrnehmen wollen,
gehen wir mit ihm an einen Ort abseits des Lärms der Welt um uns. Auch Wissenschaftler und Künstler brauchen für ihre
Arbeit und ihr Schaffen Ruhe und Einsamkeit. Und es gilt auch: „Um die Menschen zu lieben, ist es notwendig, für eine Zeit
von ihnen fort zu gehen.“ Heilige, die in die Einsamkeit gingen, haben die Herrlichkeit der inneren Welt gefunden, Horizonte
im Herzen, die Nähe Gottes.
Auch Gunther hat im Böhmerwald in der Einsamkeit unter sicherlich harten Bedingungen und im Gebet ein „vita
contemplativa“ erlebt, um dann von hier aus auch wieder in die Welt zu gehen und auch wieder ein vollkommenes „vita
activa“ zu leben. Die Eingenommenheit für ein heiligmäßiges Leben, das Eintreten für das Evangelium und die
Reformströmungen aus Cluny und Gorze ist bei Gunther besonders bewundernswert. Und überraschend ist, wie aktuell
Gunthers Leben auch den heutigen Kirchendokumenten über Heiligkeit, z. B. dem "Lumen gentium", einem Dokument des 2.
Vatikanischen Konzils, entspricht: „In unterschiedlichen Lebensweisen und Berufen verwirklichen die einzige Heiligkeit all die
Leute, die von Gottes Geist gelenkt sind, die der Stimme des Vaters gehorchen, die sich vor Gott dem Vater im Geiste und
der Wahrheit verneigen und die dem armen, demütigen und das Kreuz tragenden Christus folgen, damit sie die Teilnahme
an seinem Ruhm verdienen. Jeder soll aber je nach seinen eigenen Gaben und Aufgaben ohne zu zögern den Weg des
lebendigen Glaubens beschreiten, der Hoffnung weckt und durch Liebe wirkt.“
Der frühere Magnat (Hochadelige) Gunther musste, als er seinen Besitz unter den Klöstern verteilte und den Weg der
Mönchsarmut einschlug, nicht Gott zurufen: „Herr, ich habe leere Hände!“ In seine Berufung als Friedensstifter, Versöhner
und Errichter von Brücken zwischen Völkern legte er bereitwillig seine diplomatischen und sonstigen Erfahrungen, aber auch
seine Kontakte und Verbindungen zu den Mächtigen der damaligen mitteleuropäischen Welt, von denen viele seine engen
Verwandten und Freunde waren. Um Gunther gerecht zu werden, ist es notwendig, nicht nur Gunther selbst zu sehen,
sondern auch seine Vorbilder, besonders Christus, denn auch Gunthers Heiligkeit hängt mit der Vereinigung mit Christus
zusammen. Abschließend noch einige Worte aus der Heiligenlegende "Das Leben Gunthers des Eremiten (Vita Guntheri)":
„Erheben wir also unsere Sinne zur Nachfolge des Beispiels der Heiligen, auf dass wir ihre Taten preisen, selbst ein
tugendhaftes Leben führen, wie der Psalmist mahnt: Sucht den Herrn, und lebendig wird deine Seele sein!“
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