"Der Eremit Gunther gehört zweifellos zu den herausragenden Persönlichkeiten des frühen 11. Jahrhunderts. Seine
hochadelige Abstammung, sein frommer Lebenswandel und seine radikale Hinwendung zu einem Dasein in äußerster
Abgeschiedenheit und Askese machten ihn schon zu Lebzeiten weit über die Grenzen seines unmittelbaren Wirkungsfeldes
hinaus bekannt. Das Volk verehrte ihn wie einen Heiligen und selbst Könige schätzen seinen Rat. Er pflegte Kontakt mit
Kaiser Heinrich II., dem er zeitlebens eng verbunden blieb, erwirkte 1034 bei Kaiser Konrad II. die Rehabilitierung des in
Ungnade gefallenen Herzogs Udalrich von Böhmen und war mehrfach Gast am Hof König Stephans von Ungarn. Auch Kaiser
Heinrich III., den er 1040 als Unterhändler auf dessen Feldzug nach Böhmen begleitete, bezeichnete Gunther in seiner
Urkunde für Rinchnach ausdrücklich als einen vertrauten Freund.
Dass ein hochrangiger Adliger wie Gunther Mönch und sogar Einsiedler wurde und damit freiwillig auf Reichtum und Luxus zu
Gunsten eines Lebens in extremer Armut und Einsamkeit verzichtete, war außergewöhnlich und erregte weit über seinen Tod
hinaus Aufsehen und Bewunderung. Gunthers Andenken wurde daher nicht nur in den Jahrbüchern der Klöster Hersfeld und
Niederaltaich sowie an seinem Begräbnisort in Brevnov bewahrt. Auch in Hildesheim, in St. Michael in Lüneburg, in den
Klöstern Weltenburg und Raigern oder auf der Klosterinsel Reichenau im Bodensee wurde das Leben und Sterben des
Eremiten für erinnerungswürdig erachtet. Schon Propst Arnold von St. Emmeram († vor 1050), der Gunther persönlich
kannte, lässt im zweiten Buch seiner Vita des heiligen Emmeram keinen Zweifel daran, dass der Einsiedler das Leben eines
Heiligen führte. Arnolds Mitbruder Otloh († 1073) bezeichnete ihn wenige Jahre später bereits ausdrücklich als beatus bzw.
sanctus Guntharius.
Die Popularität Gunthers, die sich in einer für einen Adligen des 11. Jahrhunderts erstaunlichen Anzahl von Schriftzeugnissen
niedergeschlagen hat, darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein Wirkungskreis als Mönch und Einsiedler im
Wesentlichen auf Bayern und Böhmen beschränkt blieb und sein Kult letztlich keine über diesen Raum hinausgehende
Wirkung entfalten konnte. Es ist daher auch kein Zufall, dass wir über sein Dasein als Eremit im bayrisch-böhmischen
Grenzgebiet zwar ausnehmend gut unterrichtet sind, darüber hinaus aber wenig gesicherte Informationen über sein Leben
und sein soziales Umfeld, insbesondere in der Zeit vor seinem Eintritt in den geistlichen Stand besitzen. In der Regel
begnügen sich die zeitgenössischen Quellen nämlich mit einem knappen Hinweis auf die vornehme Abstammung Gunthers,
seine einstige Macht und seinen Reichtum, ohne jedoch näher darauf einzugehen."
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